Petra Steiner

Ist Gott neutral? Oder: warum wir ein offenes Kirchgemeindehaus brauchen

24-06_Visualisierung (Foto: Winklmann Bauherrenvertretung GmbH)

Kirchgemeindehäuser sind das dritte architektonische Merkmal kirchlicher Präsenz in einer Ortschaft. Während Kirche und Turm von weither sichtbar sind und das Licht im Pfarrhaus an so etwas wie «heile Welt» denken lässt, fristen Kirchgemeindehäuser eher ein rein zweckrationales Dasein. Wie Gewerkschafts- und Volkshäuser erfüllen sie die Aufgabe, Menschen Raum zu bieten, die aus unterschiedlichen Gründen zu unterschiedlichen Zeiten an unterschiedlichen Veranstaltungen teilnehmen.
In der ausserordentlichen Kirchgemeindeversammlung vom 25. Februar entscheiden wir über die Renovation un-seres Kirchgemeindehauses. Zweckmässig muss es bleiben. Behindertenfreundlich muss es werden. Einladend und ästhetisch ansprechend darf es aber auch werden. Zunächst gilt es, den Raumbedarf der Kirchgemeinde selbst zu decken. Darüber hinaus wird angestrebt, das Haus auch weiterhin einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

«Ist Gott neutral?», fragt mich Manfred Ebersold, der in Thalwil lebt, hin und wieder Eingebungen hat und immer wieder für ein theologisches Gespräch zu haben ist. Bisher dachte ich, dass Gott selbstverständlich Partei ergreift, radikal, für arme und ungerecht behandelte Menschen. Das tue Gott natürlich, meint Ebersold. Aber kann es sein, dass Gott für die eine wie für die andere Seite eines Konflikts Partei ergreift – und insofern neutral bleibt? Ebersold denkt an den Krieg in der Ukraine und leugnet dabei die Verantwortung der russischen Regierung in keiner Weise. Aber habe deswegen Gott die russische Bevölkerung auch verworfen? Und wenn nicht, lässt sich da nicht von Neutralität auf göttlicher Ebene sprechen, wie sie die Schweiz auf politischer Ebene immer wieder einzubringen versucht?

Anders als Kirche und Pfarrhaus bleibt ein Kirchgemeindehaus funktional – einladend gewiss, aber verschiedenen Aktivitäten gegenüber grundsätzlich offen bzw. «neutral». Und die Frage nach der Abgrenzung gegenüber dieser oder jener Anfrage an die Kirchgemeinde bleibt bewusst offen, sofern die Grundausrichtung der Veranstaltenden derjenigen entspricht, die wir als reformierte Kirchgemeinde vertreten. Wenn es Ebersold theologisch nicht um eine kraftlose, schlimmer noch, tatenlose Neutralität Gottes zu tun ist, so stelle ich mir ein Kirchgemeindehaus vor, in welchem alle Aktivitäten von Jung bis Alt miteinander in einer spannungsvollen Beziehung zueinander stehen. Aus diesem Grund darf bei der bevorstehenden Renovation bewusst der Akzent auf Gastlichkeit gelegt werden. Gott ist neutral, aber nicht inaktiv. So darf auch ein Kirchgemeindehaus nicht nur verwaltet wer-den. Das Leben darin bedarf bewusster, auch theologisch reflektierter Gestaltung.
Pfr. Arend Hoyer






Bereitgestellt: 10.01.2025      
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